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rote sonne - münchen

20.03.2010

[anm.d.red.:
1. Bild, das; -[e]s, -er [mhd. bilde = bild, gestalt, ahd. bilidi = nachbildung, abbild; gestalt, gebilde
2. bei szenemag für gewöhnlich ohne nachbearbeitung in "reinform". keine verwendung von farb- oder sonstigen filtern, keine manipulation, what you see is what you get! evtl. zu sehende verformungen und lichteffekte entstehen ausschließlich auf grund der gegebenheiten vor ort sowie ggf. unter verwendung eines konventionellen fotoblitzes.
3. die umrandeten fotos sind mit groß-formaten hinterlegt. auf wunsch
mailen wir euch auch gerne die original-größen.]

wir bleiben in münchen und wir bleiben beim christian. once again, besten dank!

"...München. Für einen ausgehfreudigen Szenemensch mit musikalischem Geschmack durchaus eine "der" Städte in Deutschland. Eine Gleichstellung mit unserer Landeshauptstadt Berlin wäre zuviel des Guten, doch kann sie mit einer Vielzahl von Szene-Institutionen und Weggeh-Alternativen für den gemeinen Raver aufwarten:

Harry Klein, Garden Club, Club Ampere, Palais, Prinzip, ehemals Registratur (geschlossen), Erste Liga, Strobe Club… "in zweiter Reihe" das 8 Season, p1, Pacha oder Tom Novy´s Match Club. Diverse Veranstaltungsreihen - hauptsächlich von World League - in der Muffat Halle, Kesselhaus, Zerwirk oder Freiheizhalle… um nur einige zu nennen. Auf den ersten Blick schaut das schon nach einem reichhaltigen Angebot aus.

In meiner Aufzählung der Clubs darf ein Name nicht unberücksichtigt bleiben: Die "Rote Sonne" am Stachus gelegen, in direkter Nachbarschaft zur weltbekannten Club-Reihe Pacha (welchen ich in meinen House-Zeiten natürlich auch einen Besuch abgestattet hab…). Dieser Laden sollte unser Ort des Vergnügens für Samstag Nacht werden. Auch sollte ich an diesem Abend eines der besten Sets seit längerer Zeit erleben…

Nun aber der Reihe nach. Zu Gast hatten wir an diesem Abend den "Break New Soil" - Labelboss Gregor Tresher, Petar Dundov und Martinez. In aufgezählter Reihenfolge traten sie auch zur Arbeit an. Zu meiner Verwunderung - da ich das musikalische Programm erst im Nachhinein ausgiebig studiert habe - trafen wir um 1 Uhr schon Gregor Tresher an.

Ich möchte über seine Musik nicht zu viel Worte verlieren, aber eines sei gesagt: Mich persönlich langweilt diese Musik mittlerweile sehr. Liegt natürlich auch daran dass ich in letzter Zeit öfters diese Art von Act mir zu Gemüte geführt habe. An Sich hat der Künstler sicherlich nichts falsch gemacht, was sich auch in den Reaktionen des Publikums bestätigte: Es war eine ausgelassene Stimmung!

Zur Musik: Vergleichbar mit Joris Voorn vom Vortag, jedoch für meinen Geschmack etwas - schlicht gesagt - schlechter: Die Höhepunkte einzelner Lieder waren sehr absehbar und nicht unerwartet, besondere Überraschungen blieben meiner Meinung nach aus und nach einer Zeit stellte sich auch eine gewisse Monotonie ein - nach dem Schema: Aufladen, Entladen, Aufladen, Entladen, also sprich: Bumm Bumm Bumm - Zischhhhhhh, Bumm Bumm Bumm - Zischhhh.

Die Musik wies für mich keine "Tiefe" und Eindringlichkeit auf, zu perfekt war in sich alles schlüssig und vorgegeben. Aber wie schon gesagt: Ich schätze mal recht wenige der dort anwesenden Gäste würde diese Meinung mit mir teilen. Mein Bild würde natürlich auch nicht so streng ausfallen wenn ich einen Tropfen Alkohol zu mir genommen hätte.

Gregor Tresher dürfte den meisten Leuten ein Begriff sein spätestens nach seinem Hit "A Thousand Nights". Überhaupt in Sachen Produktion dürfte er sich mit in die oberste Riege an Künstlern einreihen. Sowohl sein Debütalbum wie auch das aktuelle "The Life Wire" überzeugen mich persönlich sehr! An diesem Beispiel sieht man mal wieder wie stark der Stil des hauseigenen Outputs abweichen kann im Vergleich zu dem Gespielten im Club.

Mit "Break New Soil" - frei übersetzt: "Betritt neues Land" - möchte Gregor Tresher Grenzen aufbrechen, zumindest Produktionen abliefern welche in alle Richtungen stilistisch offen sein können. Es ist auch nicht abzustreiten dass er das tut, jedoch sind Studio-Arbeit und Club-Arbeit zwei paar Schuhe bzw. Platten - und in dieser Nacht hat er meiner Meinung nach nichts besonderes, musikalisches Neuartiges abgeliefert.

Es war kurz vor 3, da bemerkte ich das Wuseln und Treiben an einem anderen Tisch, direkt gegenüber der Arbeitsstätte des Herrn Treshers: Das kroatische Multitalent Petar Dundow bereitete sich auf seine "Show" vor. In diesem Fall galt es jedoch mehr Aufwand zu betreiben im Vorbereiten des Gigs, da es ich hierbei um einen sog. "Live Act" handelt.

Einen ganzen Fuhrpark an Syntheziern, Drum-Machines und anderen Controllern hat er angekarrt. An die Größe eines Anthony Rother Geräteparks kommt dieser natürlich nicht heran, trotzdem war das Ganze sehr anschaulich zu betrachten. Ich war schon fast kurz vorm Verlassen des Clubs (aus Müdigkeit und Langweile), doch dann packte mich die Neugier auf das kommende Live-Set von Petar Dundow.

Ihr liebe Leser solltet wissen: Je besser mir etwas gefällt und je mehr begeistert ich bin, desto stärker ist mein Mitteilungsbedürfnis und desto schwieriger fällt es mir mich kurz zu halten. Ich versuch die kommenden Textblöcke dennoch etwas kleiner zu halten.

Na gut, also: Punkt 5 nach 3 wurde mit starkem Applaus seitens des Publikums das Ruder übergeben an Petar Dundow. Musikalisch war - es war anzunehmen - ein starker stilistischer Break zu vernehmen, und wie: Die basslastige, kickende Musik wurde ausgetauscht mit langanhaltenden Flächen und anfangs sogar "no-Beat"-Sound. Die Stimmung wechselte abrupt, viele wussten auch erstmal nichts mit anzufangen. Ich auch nicht.

Es machte sich merklich eine andersartige Atmosphäre im ganzen Club breit, selbst der abgesottenste Raver schaffte es auch stellenweise wie angewurzelt darzustehn. In den ersten Minuten trieb der Sound stellenweise ohne geringste klangliche Änderungen dahin. Aber allein durch den tiefen und atmosphärischen Klang, der so treibend daherkam, war absehbar: Es kommt was! Und da nimmt man auch ein Warten in Kauf…

In Nuancen, wohl portioniert, bestückte er das Klanggerüst mit Synthiesounds und neuen Elementen. Persönlich steigerte sich dadurch die Spannung, es war nicht absehbar wohin die Reise gehen sollte. Ich wechselte meinen Standort und begab mich in die Mitte der Tanzfläche, in direkterer Beschallung der Soundanlage. Bisher blieb ein unmittelbarer Klimax aus (obwohl allein das bloße Dasein solch andersartiger Musik für mich den Höhepunkt darstellt)…

Und dann steuerte Petar Dundow zum ersten Mal eine starke Bassline bei. Gänsehaut. Auch viele Leute in der Menge wussten jetzt damit was anzufangen. Die Stimmung verflüchtige sich aber schnell wieder… Die Bassline schwappte mit der Zeit wieder ab und und tauchte im Fluss der Klänge unter.

Anders als bei einem gewöhnlichen DJ-Set werden bei Live-Acts ausschließlich eigene Produktionen zum Besten gegeben. Man kann somit nicht von einer "Playlist" im engeren Sinne sprechen, vielmehr editiert und verschachtelt der Live Act Tracks, sodass am Ende der Darbietung von einem einzigen Track gesprochen werden kann. Das ist das Interessante: Man kann den Aufbau nicht so leicht vorhersagen wie bei normalen DJ-Sets. Oft haben Künstler auch kein festes Programm im Vorfeld ausgearbeitet und lassen sich stattdessen live inspirieren…

Petar Dundov betreibt ein eigenes Tonstudio und die Multimedia-Firma "Neumatik". Musikalisch hat er schon viele Musik-Genres ausgelebt, z.B. war ein früheres Album von ihm ein reines "Ambient-Album". Ihm ist Abwechslung sehr wichtig, weil nur so kann man seiner Meinung nach das Potential als Künstler voll ausloten. Recht hat er.

Ich persönlich fasste den Namen zum ersten mal auf im Kontext zu Gregor Treshers neuen Album "The Life Wire". Dort remixte er den Titeltrack, und entstanden ist eine 10-minütige-Neuinterpretation aller erster Sahne. Sie begeisterte den Labelboss so sehr, dass dieser dem Track gleich die ganze B-Seite der neuen Maxi einräumte.

Zurück zum Ort des Geschehens: Sein Background in Gefilden der Trance-Musik war unverkennbar, jedoch sollte das nicht überbewertet werden. In geringem Maße war das Set trance-angehaucht, doch es stand nun kein Paul van Dyk hinter den Reglern (um Gottes Willen…).

Die Architektur seiner Musik wurde immer weiter ausgebaut, das Puzzle immer weiter zusammengesetzt. Allerdings wurde es nie zu ende gebaut. Der Rest musste sich der Hörer selbst erschließen und zu Ende denken/spinnen. Sprich: Die Musik war alles andere als eingänglich. Ich möchte fast meinen, man hört hier Musik mit einem experimentellen Anspruch. Aber wer hat denn den schon nicht beim Live-Mixing? Es muss geradezu was unerwartetes passieren - auch für den Künstler selbst.

I-wann war es dann soweit und ich verlor mich in die Musik vollends. Die Haare standen mir zu Berge, und ich stand zwischen den Welten: Die von der Decke abgehängten Lautsprecher-Boxen einerseites, der Mensch (was ist noch ein Mensch?) hinter den Reglern andererseits. Ich hab mich gefragt, wem ich danken soll: Den Erfindern von Lautsprechern, welche solche ausserirdischen Klänge in die Luft schießen oder solch ein ausser-terrestrischer Mensch, welcher solche Sound überhaupt erst erfindet.

Ich ging voll auf in der Musik. Ein breites Grinsen versteinerte sich. Die immer wieder einsetzende Bassdrum, aber nie zu stark in den Vordergrund rückend, lies meine Puls höher schlagen. Solch präziese gesetzte Effekte, klanglich so scharf gestochen und aus den Lautsprechern dröhnend,… Nach einer Glockenspiel-ähnlichen-Einlage hätte man denken können ein Hendrik Weber aka. Pantha du Prince steht am Mischpult.

Nach einer Stunde war der Zauber verflogen, meine Sinne schon längst, und der dritte DJ - Martinez - steuerte das Schiff in die frühen Morgenstunden. Den erlebte ich -leider? - nicht mehr. Wenns am schönsten ist soll man gehen. Um die ganze Story hier zum Abschluss zu bringen zitiere ich die Headline der Titelstory der Groove-Zeitschrift Nr. 82/Juni,Juli 2003: "Für die Momente des Glücks"… für genau solche Überraschungen und Bewusstseins-Erweiterungen elektronischer Klangkunst gehe ich Wochenende für Wochenende aus. Danke Petar Dundov.

..."

 

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