[anm.d.red.:
1. Bild, das; -[e]s, -er [mhd. bilde = bild,
gestalt, ahd. bilidi = nachbildung, abbild; gestalt,
gebilde
2. bei szenemag für gewöhnlich ohne
nachbearbeitung in "reinform". keine verwendung von farb-
oder sonstigen filtern, keine manipulation, what you
see is what you get! evtl. zu sehende verformungen
und lichteffekte entstehen ausschließlich auf grund
der gegebenheiten vor ort sowie ggf. unter verwendung
eines konventionellen fotoblitzes.
3. die umrandeten fotos sind mit
groß-formaten hinterlegt. auf wunsch
mailen
wir euch auch gerne die
original-größen.]
wenn
man sich dem christian seine bilder so anschaut,
könnte man den eindruck gewinnen, es gab nur
sonnenschein am bayou-wochenende... aber hört &
seht selbst. danke an christian für die fotos und
den bericht des (anscheinend) extrem ereignisreichen
festivals:
"...
Wo fang ich an? Plagende Gedanken - paradoxerweise - sind
diese mit all den bunten, strahlenden Bildern doch noch
zu schön nach so einem Wochenende mit dem
Bayou-Festival in Erfurt. Und gerade deshalb fällt
es ungemein schwer, diese zu Papier zu bringen. Denn:
Wünschenswert wäre nämlich, jede noch so
verschwindend geringe Begebenheit jener zwei erlesenen
Tage niederzuschreiben, da am Ende alle Teile ein Ganzes
ergeben werden. Und mehr als das.
Im
Falle dessen, würde ich sicherlich noch bis zum
Moxxom-Openair02 (nein, keine Schleichwerbung!) in knapp
andernhalb Wochen vor der Röhre kauern und meine
Finger wund tippen
und das wollen wir doch nicht
(schließlich bedarf die restliche Technosaison
meiner Schreibkraft - zumindest hier auf Szenemag
).
Somit erstrebe ich folgende Zielrichtung dieses
Berichtes: Effektivste Vermittlung von
Festivalgeschehnissen größter Relevanz und
Artikulation der Grundessenz des Ganzen.
Des
Ganzen. Hier: Dem Bayou-Festival. Und da haben wir schon
den Brocken, einen ziemlich großen sogar. Ein
kollosaler Brocken (in meinem wirren metaphorischen
Tagträumen sehe ich da z.B. einen Meteorit auf die
Erde ballern
) landet auf dem Nordstrand von Erfurt,
in seinem Epizentrum mutiert eine Subkultur und baut sich
ihr persönliches Techno-Universum, wenn auch nur
für knapp 2 Tage. In der neu erschaffenen Welt
werden gängige Verhaltenskodexes und normative
Lebensweisen ausgehebelt für maximale Körper-
und Geistesentfaltung jedes Individuums von
Mensch.
Für
das Erlangen eines größeren
Verständnisses meines Ausdrucks dienen nun die
nächsten Abschnitte dieses Berichts (wer sich
kometengroßem Verständnis erfreuen
möchte, muss ein leibhaftiger Teil dieser Welt
werden und all die Haupt- und Nebenkriegsschauplätze
(geistig) selbst erleben). Tauchen wir somit ein - Allen
Oberflächlichkeiten zum Trotz. Es geht nun in die
Tiefe.
Das
Bayou-Festival am Nordstrand von Erfurt. Bereits die
dritte Austragung, in 2011 erstmals gestreckt auf zwei
Tage. Diese auch sinnhaftig zäsiert in Tag 1 mit
Live-Acts und Tag 2 mit DJ´s. Meiner Meinung nach
folgerichtig, nicht nur aufgrund logistischer und
organisatorischer Erleichterungen: Für den zahlenden
Gast bietet der Samstag mehr die Listening-Musik und der
Sonntag ist dann ausschließlich auf Tanzmusik mit
entsprechendem Booking getrimmt.
Wenn
wir schon (bzw. noch) bei der großformatigen
Wochenendbetrachtung bzw. "-zäsur" sind: So
puristisch die Auslegung der Acts jener zwei Tage, so
kontrastrierend die Witterungsverhältnisse: Zeigte
sich das Wetter am Samstag noch von seiner Schattenseite
(bewölkter Himmel, Nieselregen, Kälte), so
kamen dann aber spätestens Sonntag Vormittag all die
Konträr-Erscheinungen in voller Pracht zum
Vorschein: Blauer Himmel, opulente
Strachus-Wolkenformationen und Sonnenschein en
masse.
Chapeau
Claque machten den Anfang des
Live-Set-Samstages. Die halbe Stunde Verspätung im
Time-Table sollte niemand gestört haben, die
schön geschnittene Wiesenlandschaft war ohnehin zu
diesem Zeitpunkt von nur einer heterogenen Besucheranzahl
gesäumt. Dieser Faktum dem künstlerischen
Anspruch einer Chapeau Claque - Formation nicht
gerechtfertigt, zogen Maria Antonia Schmid mit Ihren
Mannen die Show am frühen Nachmittag durch. Witz,
Charme (& Mel
) und Lebenslust brachen
natürlich trotzdem aus der Sängerin heraus, und
zwar in dem Maße, als ob sie gar nicht mehr zu
bändigen gewesen wären
Was wäre nur
passiert wenn das "Vor der Bühne" wirklich voll
gewesen wäre?
Aber
nein, wir haben weiterhin leichten Regen; ein nie enden
wollender, tieftrauer Wolkenteppich schirmt jeden
Sonnenstrahl aufs Leichte vor dem Festivalbesucher ab.
Und nun Mount Kimbie. Nochmal: MOUNT
KIMBIE! Liebe Musikfreunde, es ist dem Anschein nach ein
ganz normaler Samstag am Nordstrand: eine Menschentraube
aus ein paar dutzend Köpfen steht verhalten vor der
Bühne (aber was will man um diese Uhrzeit bei diesem
Wetter schon erwarten
), als ob die beiden
britischen Produzenten Dominic Maker und Kai Campos jedes
Wochenende hier auflegen würden.
Pardon.
Mount-Kimbie spielt natürlich live! Und wer kann es
glauben, ein paar Stücke aus ihrem aktuellen,
international hoch gefeierten Album "Crooks & Lovers"
dürfen da natürlich nicht fehlen (allen voran:
"Before I Move Off"). Das Duo aus Brighton und London
wollen mehr als nur am Bildschirm virtuelle Knöpfe
drehen, und das sieht und hört man: Schon bei diesem
Act sollte jedem Gast der Mehrwert eines Live-Acts
verglichen mit einem DJ-Set ins Auge bzw. Ohr gefallen
sein.
Mit
zahllosen akutischen Instrumenten spielten Sie ihre
Tracks live ein - Improvisation sei in höchstem
Maße gefordert - heraus kam eine einzigartige
Mischung aus analogen und digitalen Klängen mit
Anleihen bei Dubstep und Techno. Erstaunlich, mit was
für einer Präzision sie die unterschiedlichsten
Geräuschsamples zusammen nähten, und trotzdem -
oder gerade deshalb - einen fließenden, impulsiven
Klangstrom erzeugten.
Change
Over. Nun war ein Mann mit Hut, Charme (& Mel
,
hatten das wir heute nicht schonmal?) on Stage, mit
Namen: Frivolous. Technoproduzenten
eilt gerne der Ruf voraus, keine besonders guten
Performer zu sein. Diesen Vorwurf braucht sich der
Kanadier Daniel Gardner nicht machen zu lassen.
Schlüpft er in sein Alter Ego Frivolous, dann ist
nicht nur für guten Groove, sondern auch für
eine extravagante Live-Show gesorgt. Gerade in der
oftmals etwas unterkühlten Minimal-Szene ist das
eher eine Seltenheit.
Doch
das "Ganze" wird befuttert mit Seltenheiten. Und das was
dieser Herr mit so fragwürdigen "Instrumenten" wie
einem Küchenmesser oder Schnurtelefon in einen
homogenen, beatfreudigen Techno-Mix verzaubert, gibt
allen Grund zum Stirnrunzeln und vielmehr:
"Kinnlade-nach-unten-klappen". Entzückend,
Schmeichelnd, Verblüffend, Verzaubernd
was
will man da schon groß an Worte verlieren? Ich
möchte mal behaupten: Frivolous reiht sich im Bunde
der vorangegangen Acts mit
"Aussergewöhnlichkeits"-Prädikat ein und
bestätigt schon zu diesem frühen Zeitpunkt der
Festivaldauer eine ehrenswerte Auslese an Künstlern
für Bayou 2011. Im Fortgang des Samstag Nachmittages
sollte sich da nicht viel groß
ändern.
Der
sympathische Guti trug die mittlerweile heitere Stimmung
in den frühen Samstag Abend mit einem ebenso
forcierenden, stimmungsgeladenen Mix ein.
Und
plötzlich: Ein Mann mit Maskierung, was allein schon
einen gespenstischen Anblick darstellte, irrte im
Publikum umher. Er hatte einen Auftrag: Den Geist von
Raz Ohara auf dem
Festivalgelände zu befördern, in Form von Rauch
von glühenden, speziellen Holzstücken in einem
Topf. Allein schon die Tatsache, die Sinne des Publikums
abseits von Musik und optischer Reize zu reizen, verdient
größte Aufmerksamkeit.
Wenn
man von Höhepunkten des Wochenendes reden
möchte - meiner Meinung nach kann man das nicht -
dann sollte sich Raz Ohara zweifellos in dieser
Auflistung wiederfinden. Zu andersartig, entrückt,
fremd war diese Musik, als dass man sie mit anderen
Klängen dieses Tages vergleichen könnte. Oft
musste man sich fragen, welcher Quelle gerade jener Sound
entsprang. Die Klangkulisse wurde fortwährend so
vielschichtig aufgetürmt, dass man deren Strukturen
nur mit allergrößten Bemühungen erahnen
konnte.
Mit
Raz Ohara´s Setup-Konfiguration genügt ein
Hauch von Atem ins Mikro, und dieser verflüchtigt
sich in endlose Hall-fahnen, wenn man will, angeschmeckt
mit melodiösen Klängen, und der vormals
primitive, menschliche Atemhauch mutiert in eine
Endlos-Spiralen-Klang-Fanfare, die nie zu enden scheint.
Oben drauf werden dann immer weitere Elemente live (!)
eingespielt, und am Ende ist man auf dem mittlerweile
dunklen Areal des Nordstrands am Samstag Abend
eingehüllt in einem wollig-warmen,
großflächigemn Klangteppich.
Raz
Ohara´s Grazie im Ganzen, die performativen Gestiken
gekoppelt mit dieser eigenständigen Musik (sie muss
fast schon etwas Überparanormales darstellen)
bescheren dem Bayou-Festival eine aussergewöhnliche
Athmosphäre, nach welcher es einem nur noch nach
Heulen zumute sein hätte sollen, wenn da nicht noch
ein final act sein Können zum besten gegeben
hätte: EROBIQUE! Der
Lokalmatador, der am meisten ersehnte Act des
Tages.
Carsten
Meyer mit seinem Alter Ego Erobique schloss Day 1 in
einem finale furioso ab: Disco gepaart mit lässigen,
kaltschneutzigem Lyrics von Erobique - in Deutsch
versteht sich - bescherte der überschaubaren
Besuchermenge genau jene Glücksmomente, für
diese wir uns doch tag ein - bzw. nacht ein, nacht aus im
Feierjahr ins Getümmel begeben: Kollektive
Extasemomente, Wunderkerzen in der Luft, Konfetti in den
Haaren, großflächige Sitzeinlagen des
Publikums mit anschließendem, gemeinschaftlichen
Sprung in den Stand, oder einfach tränenergreifendes
Mitsingen bei dem letzten Musikstück des gesamten
Tages:
Erobique
- Easy. Und spätestens jetzt hinterlassen meine
Finger auf den Tastaturziffern feuchtere
Abdrücke
Es sind genau diese Momente,
über die es eig. nicht zu schreiben lohnt, denn das
Geschehene kann man nur schwer schwarz auf weiß
"übersetzen". Es geht nicht zu übersetzen, man
kann bzw. muss es nur selbst erleben. Zur richtigen Zeit
am richtigen Ort. Nach etlichen "Zugabe"-Rufen im Chor
musste der Herr aus dem Münsterland eigen kreiierte
Worte in Manier einer "Stand-up-Comedy" zum Besten geben.
Das nenn ich mal Improvisation. Tag 1
pasé.
Liebe
Leute, Bayou sollte sich schon jetzt gelohnt haben - alle
Acts enttäuschten in keinster Weise, der zahlende
Gast (Tagesticket: 20 (!) Euro) kam mehr als auf seine
Kosten. In Festivalzeit gerechnet, war nun noch nichtmal
die Hälfte des Bayous durchschritten, der Sonntag
steht noch vor der Tür. Ich beschließe nun,
meine eingangs an mich gestellte Maxime - lapidar
ausgedrückt: weniger schreiben - Taten folgen zu
lassen. Dies tu ich mit den folgenden Absätzen:
Folgende
Großkaliber erwartete den Gast ab 10 Uhr
Sonntags:
10:00
- 12:00 / KALABRESE
12:00
- 13:30 / GUNJAH & KENNY LEAVEN
13:30
- 14:30 / ISOLÉE
14:30
- 16:00 / MATHIAS KADEN & DANIEL
STEFANIK
16:00
- 18:00 / JAMES HOLDEN
18:00
- 20:00 / DIXON
Was
will man mehr (und nicht zu vergessen: Die Sonne!)? Ich
mach es kurz:
-
Kalabrese spielte vor menschenleerer
Tanzfläche ein gemächliches, luftiges
Deep-House-Warm-Up-Set. Eine Klang-Architektur in
schönster Ästhetik, war sie doch so
zurückhaltend, gar introvertiert, dann aber zugleich
einnehmend und erfüllend (schade um den Umstand der
wenigen Zuhörer)
-
Gunjah & Kenny Leaven, Gunjah
Betreiber der Showboxx in Dresden, Kenny Leaven der Kopf
des Festivals (?, wenn nicht, belehrt mich eines
besseren
mail an szenemag).
-
Isolée mit seinem neuen, auf
Pampa Records (DJ Koze) erschienenen Album "Well Spent
Youth" on Tour. Ohne Frage: Allein Isolée
hätte man sich gut und gerne den ganzen Sonntag
angehört.
-
Mathias Kaden & Daniel Stefanik.
Punkt. Abgehfaktor garantiert. Hr. Kaden
präsentierte mit seinem Kumpanen Stefanik ein
oldschooliges, funkiges House-Set. Doch wer ist hier das
Schaf und wer das Pferd
-
James Holden. Keiner Rede wert. Sein
Set bravourös und technisch versiert wie eh und je,
brachte er eine Quantum mehr Sonne in den ohnehin schon
stimmungsgeladenen Platz. Mein persönliches
Highlight: Actress - Maze; in voller Ausspielung (bis
dato noch nirgends auf einem Dancefloor dieser Welt
gehört
).
-
Dixon, die gute Seele des Berliner
House, wurde seinem Beinamen gerecht und beförderte
die Menge in die entlegensten Winkel menschlicher
Vorstellungskraft. Was für eine ehrwürdige
Erscheinung, dieser Typ. Zusammen mit Kenny Leaven und
sattem Abendrot brachten sie das "GANZE" zum wohl
verdienten Abschluss.
Die
Quintessenz des Ganzen: Der zahlende Gast dieses
Open-Airs kam in die Gunst, ein Wochenende mit
international-gefeierten, größeren und
kleineren Persönlichkeiten der Elektronikmusik-Szene
und folglich unterschiedlichster,
aussergewöhnlichster Musikstile zu erleben, und all
dass in einer sehr intimen, familiären
Atmosphäre. Nur wenige Festivals können dass
von sich behaupten - je nach gesetzten Ansprüchen
seitens der Veranstalter - und hier wurden die
Maßstäbe an Qualität und
Exklusivität enorm hoch angesetzt, wenn nicht zu
hoch
Solch
eine Stimmung und Wohlbefinden kann man sicherlich nur
auf den wenigsten Festivals vorfinden. Ein Faktor ist
auch die Besucheranzahl, welche - im Schnitt - für
die Veranstalter vermutlich ungenügend tief ausfiel.
Bleibt abzuwarten, in welcher Form im neuen Jahr die
Weichen für Bayou gestellt werden. Aus Sicht des
Gastes sollte sich das Bayou als kleines
Techno-Schlaraffenland (klingt besser im Ohr als
"Brocken) entpuppen, welches es allzeit in vollen
Zügen zu genießen galt...
ein
Steffen Bennemann (welcher vom Gradwanderung-Open-Air
angereist war), sicherlich alle Acts, und die meisten
Gäste taten das sicherlich, den Stimmungslagen nach
zu urteilen. Es war teilweise zu schön um wahr zu
sein, und so ist es nicht verwunderlich, wenn man
wehmütig und emotional angekratzt am Sonntag Abend
die Heimreise antreten muss. Mit den letzten
Sonnenstrahlen aus den Lautsrecherboxen ertönt:
Chapeau Claque - Last Dance. Was bleibt sind
Erinnerungen, und die Erkenntnis: Das Ganze ist mehr als
die Summe seiner Einzelteile.
..."